Fachtagungen
Materialität und Präsenz
Berlin, Sommer/Herbst 2021
(Inhalt folgt.)
Empirisches Forschen in außergewöhnlichen Kontexten
Sozialwissenschaftliche Tagung an der Universität Passau, 11./12. Juni 2021
»Wissen gibt es nur vom Verborgenen.« (Pierre Bourdieu)
Die Soziologie ist gekennzeichnet von der systematischen Selbstbeauftragung, das Unhinterfragte zu hinterfragen. Diese Irritations- und Befremdungsarbeit betrifft im besten, weil effektivsten Fall nicht nur Forschungsrezipienten, sondern auch die Forschenden selbst. Denn das Vertraute entpuppt sich am besten im Lichte einer artifiziellen Distanz als etwas, das überhaupt erst als ›vertraut‹ begriffen und thematisiert werden kann. Obwohl das ›Feld‹ vermeintlich mit der Beschreibung des Feldes zusammenfällt, besteht zwischen analytisch-systematischen bzw. berufsreflexiven Alltagsdeutungen und dem routinierten Durchleben von Alltäglichkeit bekanntlich eine große Diskrepanz.
In methodologischer Hinsicht stellt sich (nicht nur) in der Soziologie immer schon die Frage nach der Bestimmung tatsächlicher Unvertrautheit – ganz zu schweigen von der Frage nach den Instrumenten, die diese Unvertrautheit herbeiführen können. Nicht alles, was unerforscht und auf den ersten Blick bemerkenswert erscheint, rechtfertigt umfangreiche Recherchearbeit; umgekehrt sind die Themenfelder zahlreich, die trotz bereits erfolgter akribischer Durchleuchtungen nach wie vor ertragreich sind. Wie lässt sich also der Grad an Unerforschtheit bestimmen, der fruchtbar, innovativ, aber auch anschlussfähig und, sagen wir: ›realistisch‹ genug ist, um die Mühen sozialwissenschaftlicher Nachforschung zu rechtfertigen? Und wie lässt sich überhaupt bestimmen, wie sich dies bestimmen lässt?
Zu reflektieren ist außerdem, von welcher Beobachtungsposition aus sich das Etikett der Ungewohntheit zuweisen lässt und für welchen Adressatenkreis eine solche Zuschreibung Verbindlichkeit zu generieren vermag? Schließlich sind empirische Forschungen unter speziellen Populationen von dem Umstand geprägt, dass die Akteure des Feldes mit der Binnennormativität ihres Handlungsraums per se wesentlich vertrauter sind, als es neugierige Sozialforscherinnen und Sozialforscher auch nach einiger Gewöhnung sein können.
Anders verhält es sich bei der Anwendung autoethnografischer Forschungsstrategien. Hier wird das Vertraute gezielt unvertraut gemacht, mit der Folge, dass neue Figurationen von Ungewohnheit entstehen: Im Lichte der Ethnografie treten Aspekte aus dem Schatten der Nichtbeachtung, die schon zuvor präsent, in ihrer Erforschbarkeit aber schlichtweg nicht identifizierbar waren. Die Normativität der Grenzziehung zwischen gewöhnlich und ungewöhnlich obliegt in solchen Fällen nicht selten der Bestimmung durch das forschende Subjekt, sie muss jedoch trotzdem als intersubjektiv nachvollziehbarer Wissensbestand kommuniziert (bzw. publiziert) werden.
Siehe https://erkundungen-des-ungewohnten.uni-passau.de/
PROGRAMM:
Freitag, 11. Juni
Eröffnung:
13:15 Begrüßung
13:25 Thorsten Benkel (Passau)
Wissen vom Verborgenen. Rahmenbedingungen soziologischer Erkenntnissuche
›outside the box‹
13:55 Matthias Meitzler (Passau)
Ungewöhnliches (Er-)Forschen. Über die Subjektivität des Beobachters und die
Grenzen der Zumutbarkeit
Panel 1:
14:25 Michael Ernst-Heidenreich (Koblenz)
Die Irritation des Selbstverständlichen erforschen. Einige methodische
Implikationen einer prozessualen Soziologie situativer Nichtalltäglichkeit
Pause 14:55 – 15:10
15:10 Melanie Pierburg (Hildesheim)
Autoethnografie. Das ungewohnte Selbst fordert die Wissenschaft heraus
15:40 Nora Sophie Schröder (Augsburg)
Situatives Scheitern und sein verborgenes Potenzial bei der Feldforschung.
Für eine radikalere Reflexivität in qualitativer empirischer Forschung
16:10 Christoph Nienhaus (Bonn)
Normalisierungsethnografie. Zur juristischen Konstruktion gewöhnlicher
Erwartungen
16:40 Judith Cornelia Huber / Nadine Müller (Jena)
Vorbereitungen auf das Ungewohnte. Empirisches Forschen zu Covid-19
Pause 17:10 – 17:25
17:25 KEYNOTE: Manfred Prisching (Graz)
Gewöhnliches und Ungewöhnliches. Zur Soziologie der Irritation
Samstag, 12. Juni
Panel 2:
10:00 Ingmar Mundt (Passau)
Die Zukunft und das Ungewohnte. Ein methodenorientierter Forschungsbericht zur
Konstruktion der Zukunft in der Lebensgeschichtlichkeit junger Erwachsener
10:30 Frank-Holger Acker (Hannover)
Zwischen Theorie und Praxis. Die Arbeit der Polizei aus Sicht von Organisations-
neulingen
11:00 Julia Sellig (Passau)
Multiple Realität als das Gewohnte. Diabetiker*innen und Medizintechnik
11:30 Ekkehard Coenen (Weimar)
(Außer-)Gewöhnliche Bilder der Gewalt
Pause 12:00 – 12:30
Panel 3:
12:30 Christian Thiel (Augsburg)
Erfundene Wirklichkeiten. Empirisches Forschen in Täuschungskontexten
13:00 Leonie Schmickler (Passau)
Das Hymen der Gesellschaft. Recherchen zur sozialen Relevanz der
Genitalchirurgie
13:30 Teresa Geisler (Berlin)
Chemsex – Sondierungen des diskursiven Areals
14:00 Andreas Ziemann (Weimar)
Die Steuerfahndung im Bordell. Ethnografische Erkundungen unbekannter
Handlungen, Maßnahmen und Selbstbeschreibungen einer teilautonomen
Vollzugsbehörde
Soziale Gedächtnisse am Lebensende
Universität Passau, 11./12. März 2021
Jahrestagung des Arbeitskreises »Gedächtnis – Erinnern – Vergessen« der DGS-Sektion »Wissenssoziologie«
Organisiert von Thorsten Benkel, Oliver Dimbath und Matthias Meitzler.
Programm
Donnerstag, 11. März 2021
Zur Eröffnung
10:30 – 10:45 Thematische Einführung der Veranstalter
10:45 – 11:15 Thorsten Benkel / Passau
Gedächtnispolitik. Institutionen und Rituale des (Nicht-)Erinnerns
PANEL: Abschließen als Vorbereitung des Sterbens
11:15 – 11:45 Sarah Peuten / Augsburg
Würdezentrierte Therapie. Über gelingendes Erinnern am Lebensende
11:45 – 12:15 Melanie Pierburg / Hildesheim
»Auch ihr erinnert euch.« Biografische Repräsentationen in der Hospizausbildung
MITTAGSPAUSE 12:15 – 13:30
PANEL: Bestattungs- und Sepulkralkultur
13:30 – 14:00 Matthias Meitzler / Passau
Postexistenzialität. Der Friedhof als Gedächtnisraum
14:00 – 14:30 Leonie Schmickler / Passau
Materielle (Un-)Vergänglichkeit. Die symbolische Umdeutung von Artefakten
im Trauerprozess – am Beispiel des Aschediamanten
PANEL: Formen des Gedenkens
14:30 – 15:00 Jan Ferdinand / Berlin
»Die Toten leben in uns, wir mit den Toten weiter.« Zum Übergang vom
›kommunikativen‹ ins ›kulturelle Gedächtnis‹ bei Jan Assmann
15:15 – 15:45 Nina Leonhard / Potsdam
Militärisches Totengedenken. Gedächtnissoziologische Überlegungen am
Beispiel der Bundeswehr
PAUSE 15:45 – 16:00
16:00 – 16:30 Ekkehard Coenen / Weimar
Infrastrukturen des Erinnerns und Mitsein mit den Getöteten. Wissens-
soziologische Beobachtungen am Beispiel der Gedenkstätte Buchenwald
16:30 – 17:00 Carsten Heinze / Koblenz
Das Spannungsverhältnis zwischen Orten des Todes und Überlebend(den) in
dokumentarischen Filmen. Bürgerkrieg und Genozide im 20. Jahrhundert
Freitag, 12. März 2021
PANEL: Anfang und kein Ende
10:00 – 10:30 Nico Wettmann / Gießen
Erinnerung, Phantasmen, Vergessen. Fehl- und Totgeburten aus
zeitsoziologischer Perspektive
10:30 – 11:00 Oliver Dimbath / Koblenz
Unsterblichkeit
PANEL: Auflösen als Bewältigung des Nachlasses
11:00 – 11:30 Gerd Sebald / Erlangen
Familiengedächtnis, Tod und Erbe
11:30 – 12:00 Christoph Nienhaus / Bonn
Erbschaft als Erinnerung. Rechtsnachfolge und Testierfreiheit im Spiegel
der soziologischen Theorie
Zum Abschluss
12:00 – 12:15 Abschließende Worte der Veranstalter
Der ursprüngliche Call for Papers
Wer von Erinnerung spricht, darf vom Tod nicht schweigen. Das Bewahren von Wissen, von Ereignissen, aber auch von Empfindungen usw. gewinnt gerade durch die prinzipielle Vergänglichkeit des menschlichen Handelns und Erinnerns seine Relevanz. Festschreibungen etwa durch mediale Aufzeichnung oder mündliche Weitergabe verleihen folglich nicht nur dem sonst Vergessenen eine gegenwärtige Präsenz, sondern transzendieren zugleich das Problem des Sterbens von Erinnerungsträger*innen.
Der Tod – die »Grenzerfahrung par excellence« (Berger/Luckmann) – bedeutet in diesem Zusammenhang zunächst, dass Inhalte verloren gehen, die im subjektiven Gedächtnis gespeichert waren. Aufbewahrt bleibt das, was an materiellen ›Beweisstücken‹ (Hinterlassenschaften, Spuren, Erbe, aber auch die Leiche) über das Lebensende Einzelner hinaus vorhanden ist – und das, was von anderen erinnert wird. Da der ursprünglich relevante Sinnkontext ohne konkrete Erinnerung mitunter unzugänglich ist, fehlt den Überlebenden bzw. den Nachkommen beispielsweise im archäologischen Zusammenhang häufig die Kompetenz, verloren gegangenes Kontextwissen adäquat zu rekonstruieren. Vergangenheit wird, so scheint es, durch Erinnerungsverlust undurchsichtig.
Die Frage nach der Herkunft des Menschen (bzw. des Einzelnen) sowie nach dem Ursprung der Dinge (bzw. des einzelnen Gegenstands) leitet immer wieder zu dem Versuch, die Umstände der Produktionsweisen des vergangenen Sozialen anhand seiner Überreste zu ergründen. Antworten, die von hiermit beauftragten Instanzen – in der modernen Welt: den Wissenschaften – gegeben werden, dienen der Orientierung in der jeweiligen Gegenwart und sind damit: Wissen.
Der Zusammenhang von Sterben und Gedenken, von Tod und Gedächtnis, von Wissen und Spuren macht die Relevanz des sozialen Erinnerns deutlich: Persönliche Rekonstruktionen fallen zusammen mit sozial vermittelten Bezugnahmen auf die Vergangenheit, aus denen sich die Strukturierung des individuellen Gedächtnisses erst ergibt. Folglich ist nicht jedes Gedächtnis ein unabhängiger ›Vergangenheitsspeicher‹; vielmehr ist individuelles Erinnern vom sozialen Gedächtnis geprägt. Die Erinnerung an die Lebenswelt Verstorbener ist deshalb keine authentische Dokumentation, sondern durch gesellschaftlich tradierte Konzepte des Erinnerns (oder auch Nicht-Erinnerns) vorgeprägt.
In der Erinnerung von significant others sind die Toten auch dann noch präsent, wenn sie ihre gesellschaftlichen Rollen schon lange nicht mehr ausüben. Diese Form der parasozialen ›Fortexistenz‹, die unter wissenssoziologischen Gesichtspunkten schon bei Max Scheler auftaucht, wird bei prominenten Verstorbenen konterkariert, an die man sich auch dann erinnern kann, wenn man ihnen niemals begegnet ist. In beiden Fällen ändert der Statusübergang vom Leben in die Sphäre des Nichtlebens den Modus der künftigen Bezugnahme, der überdies von sozialen, religiösen oder ideologischen Faktoren abhängt.
In der Kulturgeschichte stehen die erinnerten Toten neben dem Nichterinnerten, und Vergessensimperative (etwa die damnatio memoriae in der römischen Antike) waren bisweilen Teil staatlich verordneter Gedächtnispolitiken. Hinzu kommen Konjunkturen des Erinnerns. Es gibt historische Persönlichkeiten, die heute erinnert werden, denen aber über lange Zeiträume weitgehend nicht gedacht wurde. Durch ›Nicht-Vollzug‹ kann Erinnern zur postmortalen Nicht-Präsenz führen, die gleichwohl durch Ausgrabungen, genealogische Recherchen, Neubewertungen usw. wieder revidierbar ist.
Für die Konferenz »Sterblichkeit und Erinnerung« sind vor diesem Hintergrund Beiträge willkommen, die das Verhältnis von Erinnerung und Vergangenheitsbezug im Spannungsfeld von Sterblichkeit, Tod und Modellen von ›Gedächtnisunsterblichkeit‹ thematisieren. Beispiele für Bezugnahmen können u.a. sein:
Kulturelle und materielle Referenzen auf Sterben, Tod, Wissen und Erinnerung:
- Die Relevanz sozialer Gedächtnisse im Zusammenhang mit Krieg, Katastrophen und kollektiven Traumata
- Die Reflexivität historischer Quellen im Kontext von Erinnern und Vergessen
- Die Tradierung gesellschaftlich wichtigen Wissens im Verhältnis zum Vergessen (Absterben) von Wissensinhalten
- Sterbeprozesse und Lebensrückschau in institutionellen Rahmungen
- Die Umfunktionalisierung von Alltagsgegenständen zu (postmortalen) Erinnerungsartefakten
Formen und Funktionen personalisierten oder institutionalisierten (Toten-)Gedenkens:
- Theoretische und empirische Untersuchungen im Feld der Bestattungskultur
- Kulturelle Spezifika und Grenzen des Totengedenkens
- Erinnerungstechnologien in Bezug auf (prominente/ikonische) Persönlichkeiten
- Gedenktage, Denkmäler, Hashtags, Schweigeminuten und andere Rituale
- Vergewisserungen der Herkunft (Ahnengalerien, Stammbäume)
Probleme mit der Persistenz des Vergänglichen:
- Die Bedeutung von medialen bzw. visuellen Erzeugnissen (Fotografien, Todesanzeigen, Tondokumente) in ihrer Wirkung auf das Erinnern an Verstorbene
- Erinnerung als Todesüberwindung und die Evokation von Unsterblichkeit durch (digitale) Gedächtnismedien bzw. durch KI-gestützte Technologien
- Tote Körper als Gedächtnisgeneratoren, etwa im Zusammenhang mit Knochen-
funden und Reliquien, aber auch in der Forensik - Gespenster, Heimsuchungen, Untote und die Idee der Unsterblichkeit
Erinnerung als Objekt. Vom Körper zum Kristall
Sozialwissenschaftliche Fachtagung im Evangelischen Kirchenforum Berlin (Georgensaal), 31. Januar 2020
Gegenwärtig zeichnen sich in der Bestattungskultur diverse Umbrüche ab. Die Veranstaltung möchte darüber aufklären, dass zeitgenössische Formen von Trauerbewältigung und -verarbeitung zunehmend populärer werden, weil sie Hinterbliebene im Trauerfall in die Situation versetzen, sich die Rituale des Abschieds selbstständig anzueignen.
Mit Vorträgen zum Thema:
- Das Schicksal des Körpers in Zeiten der Autonomie
- Einstellungen nach dem Lebensende. Auszüge aus Gesprächen mit Hinterbliebenen
- Deutung und Dynamik von Interviewsituationen. Das Beispiel Trauer
- »Diamonds are a girl's best friend«. Edelsteine aus Kremationsasche
Sozialwissenschaftliche Fachtagung an der Universität Passau, 5./6. Juli 2019
Der Umgang mit dem Lebensende wird von jeher von Ritualen begleitet. Zu den Charakteristika entsprechender symbolischer Handlungen gehört, dass sie – bald subtil und bald abrupt – Wandlungsprozessen unterliegen. Die damit verbundenen Transformationsvorgänge lassen sich anhand des Wandels der Bestattungs- und insbesondere der Friedhofskultur plausibel nachzeichnen.
Während die Verwandlung der Ritualformen einerseits Herausforderungen birgt, stecken darin andererseits Chancen. Mag auch der Nicht-mehr-Leben endgültig sein – der kulturelle Status quo von Sterben, Tod und Trauer ist es nicht. Dies zu realisieren, ist sowohl eine Aufgabe für ExpertInnen in den damit verbundenen Berufsbranchen, wie auch für wissenschaftliche Beobachter.
Früher war der Tote eine Leiche; heute ist er ein Individuum. Früher war der Bestatter ein Dienstleister; ist er heute ein Erfüllungsgehilfe, oder ein Ritualdesigner? Früher war der kirchliche Beistand im Todesfall obligatorisch; heute ist er eine unverbindliche Option. Weitere Ausdifferenzierungen lassen sich leicht finden, Erweiterungen sind zu erwarten, beispielsweise durch das Internet, dessen Einfluss auf die Sepulkralkultur kaum zu überschätzen sein dürfte. Die kommenden Trauernden sind digital natives. Für sie sind visuelle Referenzen auf die Verstorbenen keiner spezifischen Gedenksituation geschuldet, sondern ohnehin Alltagsgeschäft. Vergänglichkeit ist für diese Generation eine Frage des Speicherplatzes.
Vor dem Hintergrund umfangreicher empirischer Studien an der Universität Passau zum Verhältnis von Tod und Gesellschaft, verfolgt die Tagung das Ziel, wissenschaftliche als auch praxisorientierte Perspektiven zusammenzubringen, um zu diskutieren, welche gegenwärtigen Trends an Boden gewinnen und welche zukünftigen Herausforderungen sich bereits abzeichnen. Um die Breite des Spektrums an akuten Entwicklungen abzubilden, dürfen der Ritual- und der Todesaspekt gerne auch im weiteren Sinne thematisiert werden, z.B. im Hinblick auf medizinische oder religiöse Implikationen.
Hier finden Sie das Tagungsprogramm, und hier den Tagungsbericht.
Sozialwissenschaftliche Zugänge zwischen Lebenswelt und Transzendenz
Sozialwissenschaftliche Fachtagung an der Universität Passau (Mai 2018)
in Zusammenarbeit mit der Sektion ›Wissenssoziologie‹ der Deutschen Gesellschaft für Soziologie
Sterben, Tod und Trauer scheinen in der gegenwärtigen soziologischen Debatte keine vordergründigen Themen zu sein; tatsächlich jedoch haben sich bereits die Gründerväter der Disziplin (Weber, Durkheim, in geringerem Maße auch Simmel) mit dem Lebensende und seinen gesellschaftlichen Implikationen befasst.
Später wurden diese Arbeiten punktuell fortgesetzt; hier ist insbesondere das Interesse von wissenssoziologisch orientierten SoziologInnen auffallend (Schütz, Scheler, Elias, Luhmann, Lindemann, Knoblauch u.a.). Schon Berger und Luckmann sprechen von der »Grenzsituation per excellence«, welche die »Gewißheit der Wirklichkeit des Alltagslebens« bedrohe. Das wissenssoziologische Interesse am Lebensende ist nicht überraschend, denn Sterben, Tod und Trauer sind keineswegs substanzielle ›Leiberfahrungen‹ bzw. anthropologisch vordefinierte Verhaltensmechanismen. Tatsächlich handelt es sich um Praktiken, die, durchaus körperspezifisch, über Sozialisationserfahrungen als bloß vermeintliche ›Natur des Menschen‹ verinnerlicht werden. Mithin ist das Ende des Lebens weit mehr als ein biologisch-reduktionistisch interpretiertes Ende der Funktionstüchtigkeit des menschlichen Körpers. Der Tod und seine Prozesse spielen sich eben nicht unabhängig von Aushandlungen und Sinnsetzungen ab.
Beispielsweise lässt sich plausibel rekonstruieren, dass Todesfeststellungsverfahren – eine Leistung der Expertenwissenskultur Medizin – überhaupt erst zu einem Verständnis dazu führen, was das Leben vom Tod trennt. Foucault hat diesen Zusammenhang als eine Art Verschiebungsphänomen gewürdigt: »Der Tod ist eine schmale Linie«, die je nach Situation oder kultureller Rahmung in die eine oder in die andere Richtung verlagert werden kann. Untersuchungen etwa zur sozialen Konstruktion des Hirntodes bzw. zur Grenzziehung des Sozialen am Beispiel ›unsicherer‹ Körperzustände konnten seither unterstreichen, dass die Frage, wie lebendig bzw. wie tot jemand ist, eine wissensabhängige Entscheidung ist – und nicht ein selbsterklärendes Faktum.
Die Tagung will soziologische Perspektiven auf Sterben und Tod insgesamt werfen und dabei vor allem den Übergangsbereich zwischen einer körperfixierten und einer beinahe schon ›körpertranszendenten‹ Umgangsweise mit dem Tod (wie etwa durch die Thematisierung in Internet-Trauerforen, durch Online-Friedhöfe und alternative Memorialpraktiken usw.) ausloten. Ansätze der Wissenssoziologie sollen als Leitfaden fungieren, um theoretische wie empirische Forschung einem interessierten Publikum vorzustellen. Willkommen sind in diesem Sinne auch Beiträge aus medizin-, religions- und kultursoziologischer Perspektive, die sich mit dem Verhältnis von Körper, Wissen und Tod befassen.
Die Tagung fand am 25./26. Mai 2018 an der Universität Passau statt. Hier finden Sie das Tagungsprogramm. Hier geht's zum Tagungsbericht.