DFG-Projekt: Untersuchungen zur Sprachsituation im thüringisch-bayerischen Grenzgebiet (SPRIG)
Neue Dialektgrenzen an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze nach vier Jahrzehnten politischer Spaltung?
Das Vorhaben hat sich an das DFG-Projekt "Erhebungen zur Dialektsituation im thüringisch-bayerischen Grenzgebiet" angeschlossen, das in den Jahren 1992 bis 1994 in einem Gemeinschaftsunternehmen des Thüringischen Wörterbuchs und des Sprachatlasses von Nordostbayern durchgeführt wurde. Durch Mittel aus dem Forschungspool der Universität Passau war es 2004 im Zuge der Vorbereitung der Antragstellung möglich, die seinerzeit erhobenen Sprachdaten zu sichten und einer stichprobenhaften Analyse zu unterziehen.
In dem bewilligten Projekt wurden auf Tonbändern dokumentierte Sprachdaten aus der Zeit kurz nach der Wiedervereinigung Deutschlands daraufhin untersucht, ob die vier Jahrzehnte dauernde Spaltung ehemals einheitlicher Kommunikationsräume entlang der politischen Grenze zwischen DDR und BRD auch zu einer sprachlichen Grenzbildung geführt hat. Dabei ging es sowohl um sprachgrenzbildende diatopische als auch um raumspezifische diastratische Merkmale der sprachlichen Varietäten (Dialekte, "Umgangssprachen").
Aus Perspektive der Dialektologie wurde gefragt, ob sich die Dialekte beiderseits der Grenze in Lautung, Formenbildung und Wortschatz auseinanderentwickelt haben. Aus Perspektive der Soziolinguistik wurde gefragt, ob es einen Ost-West-Unterschied im Abbau des Dialekts, in seinen Gebrauchsbedingungen, in seiner sozialen Bewertung und in der Selbsteinschätzung der Dialektsprecher gibt. Es handelt sich um die erste groß angelegte derartige Untersuchung zur ehemaligen Überland-Grenze zwischen der DDR und der BRD.
Auf längere Sicht bietet die linguistische Aufbereitung dieser zeitgeschichtlich relevanten Texte die Möglichkeit von intradisziplinären Anschlussforschungen für Text- und Gesprächslinguistik („Lassen sich in den Schilderungen der Erlebnisse im Zusammenhang mit der Grenzöffnung Sprechweisen auffinden, in denen sich Ost- bzw. Westzugehörigkeit in typischer Weise ausdrückt?“) sowie von transdisziplinären Anschlussforschungen für Volkskunde (Erzählen in Umbruchsituationen), Soziologie (Sozio-Biographie) und Geschichtswissenschaft (Oral History).
